In früheren Artikeln habe ich Dir aufgezeigt, wie Du eine Wertehierarchie erstellen und Wertekonflikte auflösen kannst. In diesem Beitrag über das Wertequadrat geht es darum, wie Du in Balance mit Deinen Werten leben kannst.
Das Wertequadrat ist ein nützliches Werkzeug zur Entscheidungsfindung. Es besteht aus einem Kasten, der in vier Quadranten unterteilt ist. Jeder Quadrant repräsentiert einen Wert, der als Grundlage für Entscheidungen zu Hilfe kommen soll. In der Mitte des Wertequadrats steht eine Frage, die beantwortet werden muss. Durch die Anordnung der Werte im Quadrat kannst du deine Entscheidungen aus verschiedenen Perspektiven überdenken und bewerten.
Es gibt ein Konzept des „Zuviel des Guten“, auch in Bezug auf den Lebensbereich eines Wertes. Es geht darum, ein gesundes Gleichgewicht zu finden. Wenn ein Wert jenseits dieser Balance liegt, wird er toxisch, während darunter ein Mangel entsteht. Das Wertequadrat hilft dir, eine gute Balance für deine Werte zu finden und eine Richtung für deine persönliche Entwicklung zu identifizieren.
Was sind Werte?
Werte sind grundlegende Prinzipien, Überzeugungen oder Ideale, die von Individuen, Gruppen oder Gesellschaften als bedeutsam, wünschenswert und leitend angesehen werden. Sie repräsentieren eine allgemeine Vorstellung davon, was als moralisch, ethisch oder sozial akzeptabel betrachtet wird.
Beispiele für Werte sind Empathie, Sparsamkeit, Wachstum, Großzügigkeit, Verschwendung, Selbstliebe, Liebe, Frieden und Geiz. Diese Begriffe werden oft als Nominalisierungen verwendet, also als unbestimmte Hauptwörter. Jeder Mensch kann den Inhalt und die Bedeutung dieser Werte individuell definieren und ihnen eine persönliche Interpretation geben.
Werte dienen als übergeordnete Maßstäbe und Leitlinien, anhand derer Entscheidungen getroffen, Verhalten bewertet und Ziele verfolgt werden. Sie fungieren als Orientierungspunkte und beeinflussen unsere Denkweise, Einstellungen und Handlungen. Ähnlich wie Fixsterne am Himmel bieten Werte eine stabile Richtung und helfen uns dabei, unser Leben entsprechend auszurichten.
Ziele des Werte- und Entwicklungsquadrates
Das Ziel des Werte- und Entwicklungsquadrat ist es, für jede Tugend die Gegenqualität („Schwester Tugend“) zu finden. Aus dem Wertequadrat ergibt sich ein Gewinn für die zwischenmenschliche Kommunikation und persönliche Entwicklung. Indem wir uns mit den verschiedenen Aspekten unserer Werte auseinandersetzen, können wir ein ausgewogeneres und ganzheitlicheres Verständnis unserer Werte entwickeln. Dies ermöglicht es uns, bewusstere Entscheidungen zu treffen und unsere Entwicklungsmöglichkeiten zu erkennen und zu nutzen.
Das Werte- und Entwicklungsquadrat trägt dazu bei, dass wir unsere Werte besser verstehen und kommunizieren können. Indem wir uns bewusst sind, dass bestimmte Werte verschiedene Aspekte haben können, sind wir in der Lage, unsere Gedanken und Gefühle präziser auszudrücken. Dies erleichtert die Kommunikation und das gegenseitige Verständnis in zwischenmenschlichen Beziehungen.
Beziehungen im Wertequadrat
Die Struktur des Wertequadrats geht auf Aristoteles zurück, wurde von Nicolai Hartmann weiterentwickelt und fand schließlich Anwendung in der Psychologie durch Paul Helwig.
Die grundlegende Annahme ist, dass jeder Wert eine Gegenqualität, oft als „Schwesterwert“ bezeichnet, benötigt. Es wird angenommen, dass eine förderliche Entwicklung am besten erreicht wird, wenn sich ein Wert im Gleichgewicht mit seiner Gegenqualität befindet, indem die Spannung zwischen ihnen ausgehalten wird. Diese Spannung verhindert eine entwertende Übertreibung und den Abgleich in einen „Unwert“ oder „Untugend“. Zum Beispiel benötigt Sparsamkeit auch Großzügigkeit, um nicht in Geiz umzuschlagen. Umgekehrt bewahrt das Gleichgewicht der Sparsamkeit den Großzügigen vor Verschwendung.
Das Wertequadrat bietet somit eine Methode, um die Balance zwischen Werten und ihren Gegenqualitäten zu erkennen und zu fördern. Durch das Verständnis dieser dynamischen Beziehung können wir unser Verhalten und unsere Entscheidungen bewusster gestalten und uns vor einseitigen Extremen schützen. Es ermöglicht uns, eine ausgewogene und wertebasierte Lebensführung anzustreben.
Elemente im Wertequadrat
- Die obere Linie veranschaulicht den komplementären Gegensatz zwischen den Gegenqualitäten, das positive Spannungsverhältnis.
- Die senkrechten Linien zeigen die entwertenden Übertreibungen.
- Die diagonalen Linien stellen die Gegensätze zwischen einem Wert und der Übertreibung des Schwesterwertes dar. Sie zeigen die Entwicklungslinien oder umgekehrt die Linien der gegenseitigen Abwertung.
- Die untere waagerechte Linie stellt den Pfad dar, den wir gehen, wenn wir einer Übertreibung entfliehen wollen und die positive Spannung im oberen Bereich nicht aushalten.

Beispiel eines Wertequadrates
Die Grafik zeigt ein Beispiel für die Beziehungen des Wertes Freiheit und seiner Gegenqualität im Modell des Wertequadrats.
- Wert – Freiheit
- Gegenqualität – Struktur
- Übertreibung Wert – Chaos
- Übertreibung Gegenqualität – Stagnation
Erst das Leitprinzip eines Wertes in Verbindung mit seinem Schwesterwert ermöglicht das Aufgehen eines „Regenbogens“. Die menschliche Entwicklung wird durch die Integration und Anerkennung von Gegensätzen ermöglicht. Im Spannungsverhältnis zur Gegenqualität eines Wertes kann etwas Neues entstehen, was auch als „Regenbogen-Qualität“ bezeichnet wird. Ein Regenbogen entsteht, wenn scheinbare Gegensätze wie Regen und Sonne in einer bestimmten Konstellation aufeinandertreffen und etwas Besonderes und Neues entsteht.
Beispielsweise kann Freiheit ohne Struktur ins Chaos führen, während Struktur ohne Freiheit zur Stagnation führen kann. Es ist wichtig, die Balance zwischen zwei gegensätzlichen Leitprinzipien zu finden, um die bevorstehende Entwicklungsrichtung zu erkennen. Eine Person, die zur Verabsolutierung der Freiheit neigt, sollte sich Struktur erschließen, während eine andere Person, die genau diese Qualität übertreibt, lernen sollte, sich Freiheit zu erschließen. Wenn wir die Gegenqualität eines Wertes nicht anerkennen, neigen wir dazu, den Wert zu verabsolutieren, und dadurch kann sich der Wert durch die eigene Übertreibung entwerten.
Schritt für Schritt durchs Wertequadrat
1. Positive Werte identifizieren
Trage die beiden Werte, die du als positiv ansiehst, in die oberen Felder ein. Beachte dabei, dass sich diese beiden positiven Werte gegenseitig ausschließen sollten. Denke daran, dass es in einer Situation nicht möglich ist, sowohl eine hohe Akzeptanz als auch eine starke Konfrontation gleichzeitig zu zeigen. Du kannst diese Werte hintereinander anwenden, aber nicht gleichzeitig.
2. Negative Übertreibungen ableiten
In den unteren Feldern trägst du die beiden Übertreibungen ein – die negativen Werte. Auch hier liegt die Entscheidung bei dir, was als negativ betrachtet wird. In dem gegebenen Beispiel empfindet der Mitarbeiter, dass seine Gewissenhaftigkeit manchmal in Perfektionismus umschlägt. Auf der anderen Seite würde zu viel Gelassenheit bedeuten, dass er seine Arbeit gleichgültig erledigt.
3. Entwicklungsrichtungen testen
Die diagonalen Pfeile stellen die Entwicklungsrichtungen für potenzielle Schwächen dar: Wenn du dazu neigst, perfektionistisch zu sein, ist es ratsam, Gelassenheit zu entwickeln. Wenn du jedoch zur Gleichgültigkeit tendierst, ist es sinnvoll, dich in Richtung Gewissenhaftigkeit weiterzuentwickeln.
4. Harmonisches Gleichgewicht finden
Indem man sich diese Fragen stellt und ehrlich reflektiert, kann man ein besseres Verständnis für die Dynamik der eigenen Werte entwickeln und Wege finden, um das richtige Gleichgewicht im Wertequadrat zu finden.
- Wie kann ich die Spannung zwischen meinen Werten und ihren Gegenqualitäten ausbalancieren?
- Welche positiven Aspekte ergeben sich, wenn ich meine Werte im Gleichgewicht halte?
- Welche möglichen negativen Auswirkungen kann es haben, wenn ich meine Werte einseitig betone oder vernachlässige?
- Welche Handlungen oder Entscheidungen kann ich treffen, um die Balance zwischen meinen Werten zu erreichen?
- Wie kann ich bewusster auf die Bedeutung der Gegenqualitäten meiner Werte achten?
- Wie kann ich meine Werte in verschiedenen Lebensbereichen (z.B. Arbeit, Beziehungen, persönliches Wachstum) in Balance halten?
- Wie kann ich mein Verhalten anpassen, um eine gesunde Dynamik zwischen meinen Werten und ihren Gegenqualitäten zu fördern?
Anwendung des Wertequadrats in Konflikten
Das Wertequadrat kann als praktisches Werkzeug bei Konfliktgesprächen dienen. Es kann hilfreich sein, sich zu fragen, welche Qualität, Tugend oder Eigenschaft einer anderen Person stört. Zum Beispiel kann es der verschwenderische Umgang mit Geld oder die chaotische Arbeitsweise sein.
Wenn zwei Personen sich in komplementären Werten gegenüberstehen, neigen sie oft dazu, nicht nur den anderen als Vertreter des als beunruhigend empfundenen Gegenwertes zu sehen, sondern auch als Verkörperung des „Bösen“ und somit als Übertreibung der Gegenqualität. In diesem Zusammenhang sagte Schulz von Thun: „Typisch für die menschliche Kommunikation im Konfliktfall ist, dass jeder Kontrahent sich in seinem Wertehimmel sonnt und den anderen im Keller der Entartung verortet.“
Die Wahrheit ist jedoch: Die Schwestertugend ist eine förderliche Ergänzung zum eigenen Wert, die es anzuerkennen und Neugier dafür zu entwickeln gilt. In den meisten Fällen rückt der Andere dann wieder vom Unwert zum Platz des Schwesterwertes zurück. Das Wertequadrat zeigt auf, welche Schwestertugenden gestärkt und entwickelt werden können. Im oben genannten Beispiel wären es Sparsamkeit und Struktur. Dadurch können wir im Konfliktgespräch eine konkrete Entwicklungsrichtung aufzeigen.
Entwicklungsgedanken
Das Wertequadrat beinhaltet die Ansicht, dass jeder Mensch sowohl über eine bestimmte Eigenschaft als auch über ihren schlafenden Gegenpol verfügt, den er in sich erwecken und entwickeln kann. Ähnlich dem Yin-Yang-Prinzip werden die beiden Pole als untrennbare Bestandteile betrachtet.
Es kann vorkommen, dass Menschen aufgrund einer Ablehnung des Schwesterwertes in eine entwertende Übertreibung eines Wertes geraten. In solchen Fällen ist es wichtig, den abgelehnten Schwesterwert zu erkennen, wertzuschätzen und zu entwickeln. Auf diese Weise können wir vermeiden, in eine entwertende Übertreibung eines Wertes zu geraten und stattdessen das volle Potenzial des Wertequadrats nutzen. Idealerweise entwickeln wir sowohl den Wert, der uns wichtig ist, als auch seine Schwesterwertigkeit, um ein ausgewogenes und harmonisches Verhältnis zu schaffen.
Video: Das Wertequadrat nach Schulz von Thun
Das Wertequadrat wurde 1989 von Friedemann Schulz von Thun entwickelt, um die zwischenmenschliche Kommunikation zu verbessern. Schulz von Thun ist ein renommierter deutscher Psychologe und Kommunikationswissenschaftler, der für seine Arbeiten zur Kommunikationstheorie bekannt ist. Das Wertequadrat ist eines seiner Modelle, das darauf abzielt, das Verständnis von Werten und deren Bedeutung in der zwischenmenschlichen Kommunikation zu fördern. Es dient dazu, Konflikte zu verstehen, unterschiedliche Perspektiven zu betrachten und Lösungen zu finden, die auf den Werten und Bedürfnissen aller Beteiligten basieren.
Literatur
- Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden 2. Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung. Reinbek bei Hamburg 1989
- Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden: Fragen und Antworten. Reinbek bei Hamburg 2007, S. 49–76, ISBN 978-3-499-61963-2.
- Jutta Herder, Kirsten Wallmichrath: Weg vom Schwarz-Weiß-Denken – SIG Combibloc und meta | five entwickeln ein 360° Feedback basierend auf dem Wertequadrat-Ansatz; Artikel in personalmagazin MANAGEMENT, RECHT UND ORGANISATION, November 2010, 12/2010, Seite 38–40
Wertearbeit im NLP-Coaching
Ich unterstütze Dich im NLP Coaching dabei, Deine Balance in Hinblick auf das Leben Deiner Werte wiederzufinden. Dieser Prozess ist für Coachees oft augenöffnend, denn durch die Wertearbeit ergeben sich in vielen Fällen direkte Handlungsstrategien oder veränderte Verhaltensweisen.
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